GRÜNER Sieben-Punkte-Plan für Kinder und Jugendliche in der Pandemie
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Bildung und die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Auch in der Pandemie. Sie dürfen bei einer sich abzeichnenden vierten Welle nicht wieder die Leittragenden werden. Die Lehre aus den letzten anderthalb Jahren muss sein: Schulen und Kitas dürfen nicht als erstes geschlossen werden, sondern junge Menschen müssen sich jetzt auf die Solidarität der Erwachsenen verlassen können. Bei steigenden Infektionszahlen muss klar sein, dass zunächst Homeoffice und das Herunterfahren anderer Bereiche des öffentlichen Lebens Priorität vor der Schließung von Schulen und Kitas hat. Um erneute Schließungen zu verhindern müssen wir:
- Homeoffice ermöglichen, wo immer es geht
- draußen vor drinnen priorisieren, auch bei Veranstaltungen
- eine konsequente Test- und Monitoringstrategie einführen, beispielsweise durch ein flächendeckendes Abwassermonitoring und eine Erhöhung der Testfrequenz
- alle Instrumente und Möglichkeiten ausschöpfen, um Kinder in KiTa und Schule vor Infektionen zu schützen
Infektionsschutz und Bildungsgerechtigkeit müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Dabei gilt es, junge Menschen nicht allein als Schüler*innen zu betrachten. Kinder und Jugendliche brauchen auch in der Pandemie Freiräume und verlässliche Strukturen über die Schule hinaus. Dazu zählen Angebote der offenen Jugendarbeit, Sport und Bewegung sowie die Jugendverbandsarbeit. Wenn darüber diskutiert wird, was unter welchen Bedingungen möglich ist, müssen die Lebenswelten und die ganzheitlichen Entwicklungsmöglichkeiten junger Menschen Priorität haben. Weiterhin muss der Grundsatz gelten, Kinder und Jugendliche in die Prozesse und Entscheidungen auch in den Schulen einzubeziehen. Viel zu lange ist über ihre Köpfe hinweg agiert worden.
An den Schulen hat die Pandemie zudem erneut gezeigt, dass die Digitalisierung schneller voranschreiten muss. Absolut unverständlich bleibt daher die halbherzige Verkündigung von Ministerin Gebauer zur Erhöhung der Lernmittelbeiträge ohne dass digitale Endgeräte einbezogen werden. Dabei wird in den Schulen zunehmend die grundsätzliche Anforderung an alle Eltern gestellt, ihre Kinder mit entsprechenden Geräten auszustatten. Die Ausleihgeräte aus Sozialprogrammen kommen nur einer Teilgruppe zugute. Familien mit sogenannten Schwelleneinkommen mit mehreren Kindern stehen vor enormen Kostenbergen (u.a. „normaler“ Schulbedarf, Klassenfahrten, IT-Ausstattung für die Schule und zuhause).
Der Lernmittelanteil müsste dringend auch für die Anschaffung digitaler Endgeräte nutzbar sein (auch in Leasingmodellen).
Schulen und Kitas gut aufstellen und sicher machen
1.) Lernen
Der Umgang der Landesregierung mit der Pandemie im Schulbereich ist von unzureichender Kommunikation und verzögerter bis hin zu unterbliebener Hilfestellung gekennzeichnet. Förderprogramme kommen verlässlich zu spät und bei der Umsetzung und dem Mehraufwand werden Schulträger und Schulen allein gelassen. Deshalb wird es noch Wochen benötigen, bis die Unterstützung durch Bundes- und Landesmittel Schülerinnen und Schülern tatsächlich zugutekommen kann. Das gilt auch wieder für die Programmteile der EXTRA-Zeit-Mittel, die die Ministerin am letzten Freitag, drei Arbeitstage vor Unterrichtsbeginn verkündet hat.
Die Schulen brauchen sofort eine Schulleitungsassistenz, um die jetzt notwendigen Koordinationsaufgaben stemmen zu können: Kooperationspartner gewinnen, Verträge auf den Weg bringen, Konzepte entwerfen, Personal anwerben. All dies ist intensive Arbeit, die die Schulleitungen aus dem Stand on top übernehmen müssen.
Es fehlt zudem eine sozialindexbasierte Verteilung der Mittel. Gerade Schulen, deren Schülerinnen und Schüler in schwierigen sozialen Lagen leben, die in der Regel weder personell noch digital besonders gut ausgestattet sind, benötigen mehr Mittel als den Durchschnittsbetrag für alle.
Aus der bisherigen Pandemiezeit mussten wir lernen, das besonders Kinder in prekären sozialen Lagen von Quarantänen, schwierigen Bedingungen beim Distanzunterricht und Kita-Schließungen betroffen sind. Sie benötigen eine besondere Unterstützung und alternative Lernmöglichkeiten. Ein Netzwerk individueller Hilfen für die Familien und Mentoringprogramme für die Kinder und Jugendlichen müssen vorbereitet werden, damit sie unmittelbar greifen können. Es reicht nicht, das Mantra vom Präsenzunterricht zu verkünden und gleichzeitig blauäugig auf das Prinzip Hoffnung zu setzen, was die Pandemieentwicklung angeht. Bis heute gibt es keine systematische Einbindung der Universitäten und Lehramtsstudierenden, um Lernbegleitung individuell oder in stabilen kleinen Lerngruppen zu gewährleisten und auch zusätzliche Lernräume zu organisieren. Das sollen die Schulen vor Ort aufwändig organisatorisch stemmen, um sich Ressourcen zu organisieren. Gleichzeitig wird den Schulen keine pädagogische Souveränität zugestanden, wenn es darum geht, bis zu den Herbstferien die Stundentafeln auszusetzen, mit außerschulischen Lernorten zu arbeiten, Projekttage und -wochen durchzuführen, um Kinder und Jugendliche wieder anschlussfähig für Lernprozesse zu machen.
Aufholprogramm nicht allein auf Schule reduzieren
Es geht um mehr als Nachhilfe, Kinder und Jugendliche müssen ganzheitlich, also auch mit Musik, Kunst, Theater und Sport sozial und emotional gestärkt, Lernstrukturen wieder aktiviert werden. Auch hier gibt es gute Hinweise aus Wissenschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von der Landesregierung ignoriert werden. Zur Stärkung der Kinder und Jugendlichen braucht es umfangreiche Mentor*innen-Programme. Zivilgesellschaftliche Akteure wie u.a. „Balu und Du“ oder „Rock Your Life“ stehen bereit, dabei zu unterstützen, Bildungsbenachteiligungen abzubauen, die durch die Corona-Pandemie noch verschärft worden sind. Die Wirksamkeit solcher Mentoringprogramme ist jüngst in einer Publikation des ifo-Instituts [1] bestätigt worden. Ein Angebot, das nicht nur auf die Ferien beschränkt ist, bietet die Chance einer Verstetigung über einen längeren Zeitraum in stabilen Gruppen mit verlässlichen sozialen Beziehungen bzw. Bezugspersonen und Ansprechpartner*innen. Ein Online-Matching-Tool soll ein bestmögliche Passung zwischen Studierenden und Schüler*innengruppe ermöglichen.
Die Förderrichtlinien, die die Bundes- und Landesmittel (Aufholprogramm + Extrazeit) zusammenführen, müssen solche Projekte unkomplizierter und landesweit möglich machen. Bis heute, zwei Tage vor dem Schulstart, liegen die Förderrichtlinie seitens des Schulministeriums MSB bezüglich der Unterstützungsmittel für Schüler*innen nicht vor. Das gilt auch für die Förderrichtlinie zu den Luftfiltern. Nicht umsonst haben die Schulen und Schulträger wieder einmal das Gefühl, dass wertvolle Zeit verloren gegangen ist.
Darüber hinaus soll Schulen die Möglichkeit gegeben werden, die Angebote außerschulischer Lernorte noch mehr in den Schulalltag zu integrieren. Das hilft bei der Entzerrung von Lerngruppen, schafft zusätzliche personelle Ressourcen durch die Mitarbeiter*innen in den jeweiligen Einrichtungen und hilft Schüler*innen durch vielfältige Angebote in einen Lernalltag in Präsenz zurückzukehren. Auch sollten erlebnispädagogische Aktivitäten, wie Wandertage, Workshops, kulturelle Angebote und Klassenfahrten verstärkt ermöglichen werden.
Für viele Kinder und Jugendliche waren die letzten Monate mit großen Belastungen und Entbehrungen verbunden. Schule darf jetzt nicht allein auf das Aufholen von Schulstoff ausgerichtet sein. Vielmehr müssen Kinder und Jugendliche dabei unterstützt werden, die letzten anderthalb Jahre zu verarbeiten. Der Stärkung der Schulsozialarbeit kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu. Neben psychischen Belastungen hat die Pandemie bei vielen Kindern auch zum einem eklatanten Bewegungsmangel geführt. Auch Sportvereine müssen jetzt mehr in die Programme integriert und ihre Angebote mit denen in Schule zusammengeführt werden.
2.) Digitalisierung
Bei der Digitalisierung der Schulen ist die Situation weiterhin unzureichend. Die Mittel aus dem Digitalpakt müssen endlich zu 100 Prozent in den Schulen ankommen, zudem muss das bürokratische Antragsverfahren vereinfacht und den Schulträgern pauschalisiert, verbunden mit Standards bzgl. der notwendigen Ausstattung von Schulen zur Verfügung gestellt werden. Das gilt auch für die Administration. Der Mittelabruf in Bezug auf die IT-Administration läuft nämlich noch ernüchternder. Neben Standards für die digitale Ausstattung gibt es auch keine Vorgaben, was die Schulen an digitalgestütztem Unterricht leisten sollen, wann welche Ziele in der didaktischen Umsetzung erreicht sein sollen. Ebenso wenig werden die Kollegien systematisch fortgebildet.
Web-Individual-Schule – Digitalisierung für die Inklusion nutzen
Die Pandemie hat allen Beteiligten eine veränderte Sicht und einen neuen Umgang mit digitalen Formaten erbracht. Der Blick auf Kinder, die im digitalgestützten Unterricht nicht optimal erreicht werden konnten, ist richtig und wichtig. Die Krisensituation hat aber auch für Kinder und Jugendliche in besonderen Lebenssituationen plötzlich neue Chancen gebracht, die auf flexible Unterrichtsangebote im Distanzlernen angewiesen sind und die bislang von den Schulen nicht systematisch angeboten wurden. Das bedeutet Chancen für Kinder und Jugendliche, die temporär nicht am Regelunterricht teilnehmen können, sei es aus Krankheitsgründen, weil sie in Quarantäne sind oder bestimmte Handicaps haben.
Die sogenannte „Schule für Kranke“ gibt Schüler*innen die Möglichkeit, auch bei längerer Abwesenheit von der eigentlichen Stammschule durch individuelle Unterrichtsmöglichkeiten zu Hause oder in medizinisch-stationären Einrichtungen möglichst wenig zu verpassen und eine Rückkehr ohne Brüche vollziehen zu können. Dabei kooperieren die „Schule für Kranke“ und die Stammschule. Das Besondere ist, dass die Schüler*innen nicht im Klassenverband unterrichtet werden, sondern mit einem hohen Maß an Flexibilität und Individualität in ihrem eigenen Lerntempo arbeiten können. Schon länger wird die Bezeichnung „Schule für Kranke“ kritisiert, da sie die Krankheit in den Mittelpunkt stellt. Wir schlagen daher als neuen Namen den Begriff der „Individualschule“ vor.
Bislang ist der Zugang zur „Schule für Kranke“ bürokratisch reglementiert und an den stationären Aufenthalt in einer medizinischen Einrichtung gebunden. Möglichkeiten der prä- und poststationäre Beschulung unterliegen engen Vorgaben. Kinder und Jugendliche verbleiben unter Umständen längere Zeit ohne Beschulung. Gerade für Schülerinnen und Schüler mit einer psychischen Beeinträchtigung und ihre Familien führt das zu großen Problemen. Hilfesuchend schauen sich Familien mit beeinträchtigten bzw. vulnerablen Kinder nach Alternativen um und finden diese bislang nur im Privatschulangebot, sogenannter „Webschools“. Allerdings sind diese Schulen nicht einfach zugänglich, mit einem teuren Schulgeld verbunden und sie sind keine zugelassen Ersatzschulen. Sie erfüllen damit nicht die Anforderungen der Schulpflicht eine Befreiung von dieser ist jedoch nur schwer für Onlineschulen erhältlich.
Eine staatliche Web-Schule schließt eine bestehende Lücke im System. Die „Schule für Kranke“ kann und sollte zur Individualschule weiterentwickelt werden, die neben ihren schon bestehenden Unterrichtsstandorten [2] auch grundsätzlich webbasiert arbeitet. Als Teil eines inklusiven Schulsystems sollte sie für alle Kinder und Jugendlichen, die aus individuellen Gründen nicht am Unterricht der Regelschule teilnehmen können ein Angebot machen – mit Online-Formaten und wo möglich auch mit Präsenzanteilen. Diese Web-Individual-Schule sollte auch den im Schulgesetz vorgesehenen Hausunterricht umfassen und eben auch für Zeiträume von unter sechs Wochen (Hausunterricht) oder vier Wochen (Schule für Kranke) gelten. Damit können auch die Regelschulen entlastet werden, die bislang z.B. für Schüler*innen temporäre Angebote machen müssen.
Die soziale Einbindung kann temporär über Avatare erfolgen. In anderen Bundesländern sind zum Beispiel Telepräsenz-Roboter schon im Unterricht offiziell zugelassen. In NRW gibt es vereinzelt einen Einsatz eines solchen Avatars (z.B. in Aachen) auf Einzelinitiative hin. Der Avatar fungiert als Augen, Ohren und Stimme eines Kindes und vertritt überall dort, wo eine Schülerin oder ein Schüler physisch nicht sein können, da sie sich im Krankenhaus oder zu Hause befindet [3]. Die Avatare bieten schwer erkrankten bzw. beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen eine sehr gute persönliche Kommunikationshilfe, über die sie dem Unterricht mittels einer gesicherten Videoverbindung folgen können. Kinder mit physisch oder psychischen Langzeiterkrankungen erhalten damit ein Stück Normalität zurück. Unabhängig von der sozialen Komponente schützen diese Avatare durch umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen die Privatsphäre, gewährleisten den Datenschutz und verursachen keinen großen technischen Aufwand. Diese Angebote sollten ausgebaut werden und flächendeckend zugänglich sein, um Inklusion für alle Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen. Eine sozialarbeiterische oder familienunterstützende Begleitung soll im Jugendhilfenetzwerk angebunden werden.
Ziel sollte die Wiedereingliederung der Kinder und Jugendlichen in das Regelschulsystem sein und gleichzeitig soll die Schule diejenigen aufnehmen und verlässlich beschulen , bei denen eine Wiedereingliederung bzw. eine Präsenzbeschulung auf absehbare Zeit nicht möglich ist. Zukünftig werden digitale Formate und Unterrichtseinheiten noch mehr Bedeutung erhalten und weiterentwickelt werden
Prävention und Infektionsschutz
Für das neue Schuljahr müssen die Voraussetzungen für einen sicheren Unterrichts- und Kita-Alltag geschaffen werden. Dazu gehören – neben der Beachtung der AHA-Regeln – Lüftungskonzepte, Teststrategien, Impfangebote, das Erschließen neuer Raumkapazitäten, das Einbeziehen außerschulischer Lernorte und das Gewinnen von zusätzlichem Personal, um kleinere Lerngruppen zu ermöglichen.
3.) Lüften
Schulen und Schulträger haben vielfach nach den Sommerferien ein Déjà-vu-Erlebnis. Anstatt umfassende Maßnahmen zu treffen, um die Schulen zu möglichst sicheren Orten zu machen, liefert die Landesregierung Laschet weiterhin nur ein Stückwerk, schiebt Entscheidungen auf die Kommunen ab und versucht, Infektionsrisiken weg zu definieren. Wie bereits im vergangenen Jahr hat die Landeregierung Förderprogramme und Richtlinien erst in letzter Sekunde in den Sommerferien und dann nur halbherzig aufgestellt, Luftfilter sind in den Klassenräumen und Kitas in NRW weiter Mangelware.
Die Erkenntnisse der Aerosolforschung bei der Förderung für Luftfilter in Klassenräumen bleiben weiter außen vor oder werden versucht zu relativieren: Das Land behauptet weiterhin, dass sie nur eingeschränkt für eine bestimmte Raumkategorie von Nutzen sind. Ansonsten wird auf das Lüften verwiesen. Lüften ist eine essentielle Maßnahme zum Gesundheitsschutz. Wirksam ist das aber nur, wenn Quer- oder Stoßlüften möglich ist. Und beim Querlüften reicht die offene Tür zum Flur nicht aus. So heißt es im jüngsten Positionspapier [4] der Deutschen Forschungsgemeinschaft von Juli 2021: „Ein schneller Luftaustausch durch Fensterlüftung erfordert regelmäßiges Querlüften (Sechsmal pro Stunde, Durchzug durch Öffnen von Fenstern auf gegenüberliegenden Raumseiten, ggf. auch in benachbarten Räumen) oder ebenso häufiges Stoßlüften (durch vollständiges Öffnen aller vorhandenen Fenster in dem genutzten Raum).“ Stoßlüften bedeutet im kommenden Winterhalbjahr laufend alle Fenster zu öffnen. Das erschwert das kontinuierliche Unterrichten und stellt die Frage, wer denn am Fenster mit welchen Erkältungsrisiken sitzt.
Hinzu kommt, dass zur Unfallverhütung aus gutem Grund die volle Öffnung von Fenstern in den oberen Etagen unterbunden wurde. Sie jetzt wieder zu öffnen, würde bedeuten, dass sich Aufsichtsnotwendigkeiten ganz neu stellen und den Schulen mit schon angespannter Personaldecke zusätzliche Aufgaben und Verantwortungen für die Unfallverhütung zukommen. Das ist nicht hinnehmbar. Wir brauchen für alle Schulen Luftfilter, um die Aerosole wirksam zu reduzieren. Dafür spricht sich auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft in ihrem Positionspapier aus: „Wo häufiges Stoß- und Querlüften nicht möglich oder physikalisch nicht effizient ist, nicht umgesetzt wird oder unzumutbar ist und keine fest installierten raumlufttechnischen Anlagen zur Verfügung stehen, leistungsstarke mobile Raumluftreiniger mit geeigneten Filtern einsetzen.“
Kindertageseinrichtungen mit Luftfilteranlagen ausstatten
Die vom Land zur Verfügung stehenden Mittel sollen zudem auch für die Ausstattung der Kindertageseinrichtungen mit Luftfilteranlagen genutzt werden. Dabei ist klar, dass die Mittel bei weitem nicht ausreichen, um einen möglichst sicheren Schul- und Kitabetrieb zu gewährleisten. Es ist ein Armutszeugnis für die Landesregierung, dass nach zwei Ausnahmeschuljahren erneut die passenden Rahmenbedingungen fehlen, um einen möglichst sicheren und guten Unterricht zu gewährleisten, gerade mit Blick auf die sich anbahnende pandemische Lage im Herbst. Luftfilter machen auch von Corona abgesehen Sinn und können die „normalen“ Erkältungsrisiken im Herbst wie die Pollenlast im Frühjahr minimieren.
Wir brauchen eine konsequentes und wirksames Paket zur Ausstattung aller Schulen, beginnend mit den Grundschulen und den Jahrgängen 5 und 6 der weiterführenden Schulen sowie der Förderschulen und den Klassen des Gemeinsamen Lernens.
4.) Testen
Auch beim Testen ist die Landesregierung zu zögerlich. Um Infektionsrisiken, insbesondere mit der Delta-Variante wirksam zu minimieren, reichen Tests ein bis zwei Mal pro Woche nicht aus. Hier muss täglich getestet werden. Das gilt gerade zum Schulstart, wenn mit erhöhten Ansteckungsraten durch Reiserückkehrer*innen zu rechnen ist und die Schulministerin die Quarantäneregeln massiv verändert. Obwohl bis zu 30 Schüler*innen und schulisches Personal mit minimalen Abständen in den Klassenzimmern sitzen werden – in der Regel ohne Luftfilter.
Mehr PCR-Lollitests
Die Antigentests sind angesichts der Delta-Virusvariante nicht ausreichend, sie haben eine Fehlerquote von 30-40 Prozent. Deshalb ist es besser auf Lollitests zu setzen. Als PCR-Tests sind sie nicht nur deutlich verlässlicher, sie kosten auch weniger Geld und Zeit. So wird das Personal bei der Durchführung entlastet und wertvolle Unterrichtszeit gewonnen. Bislang kommen sie in NRW in Grund- und Förderschulen zum Einsatz. Hier ist eine Ausweitung auf die anderen Schulen notwendig und sinnvoll, insbesondere für die Jahrgänge 5 und 6, da die Schüler*innen der Jahrgangsstufen bislang nicht geimpft werden können. Auch für Kitakinder müssen nach den Sommerferien Tests für eine tägliche Testung zur Verfügung gestellt werden.
Das Robert-Koch-Institut hat bereits in seinem Bulletin [5] vom 1. Juli 2021 darauf hingewiesen, dass es besonders für die Personengruppen ohne (derzeitige) Impfmöglichkeit wichtig ist, alles für die Sicherheit zu tun: „Nach den Sommerferien 2021 wird der Aufrechterhaltung des Regelbetriebes mit Präsenz in KiTas und Schulen weiterhin eine hohe Priorität zukommen. Mit Blick auf den Schutz der Kinder vor SARS-CoV-2-Infektionen ist zu berücksichtigen, dass insbesondere jüngere Kinder Abstands- und Hygieneregeln in Betreuungseinrichtungen nicht oder nur bedingt umsetzen können. Dies gilt umso mehr, weil die sogenannte Delta-Variante, eine SARS-CoV-2-Variante mit leichterer Übertragbarkeit und höherer Reproduktionszahl, sich derzeit in vielen Ländern einschließlich der Bundesrepublik Deutschland verbreitet und sich voraussichtlich zur vorherrschenden Variante entwickeln wird.“
5.) Impfen
Das beste Mittel im Kampf gegen Corona sind und bleiben die Impfungen. Es ist richtig und wichtig, dass nun auch Zwölf- bis 17-Jährige ein Impfangebot erhalten können. Impfungen für unter 16-Jährige können aber immer nur ergänzend und freiwillig sein. Die Landesregierung ist jetzt gefordert, einfache, klare und mehrsprachige Informationen für die Eltern bereitzustellen. Neben dem Impfangebot in Impfzentren und durch die Kinderärzte braucht es zudem unkonventionelle Wege wie mobile Impfteams, die Schulen und Jugendeinrichtungen aufsuchen, und das nicht nur für Berufskollegs und die Gymnasiale Oberstufen, sondern auch für die Sekundarstufe I. Ein Mitimpfen von Familienmitgliedern muss zudem unkompliziert möglich sein.
Niedrigschwellige Impfangebote an Schulen
Kinder benötigen einen Schutzkokon, deshalb ist besonders die Verantwortung der Erwachsenen gefragt. Bis die Stiko ausreichend Daten zur Verfügung hat, die gegebenenfalls zu einer generellen Impfempfehlung auch für Kinder ab zwölf Jahren führt und im weiteren Zeitlauf evtl. auch für unter 12 Jährige, muss der Fokus weiter darauf liegen, möglichst viele Erwachsene zu impfen. Zumal ein Impfangebot für unter 12-Jährige noch in weiter Ferne liegt. Kinder sollten grundsätzlich zum eigenen Gesundheitsschutz geimpft werden, nicht um der Erwachsenen willen.
Deshalb gilt es im besonderen Maße für Erwachsene, die privat, beruflich oder ehrenamtlich viel Kontakt zu Kindern haben, zum Schutzkokon für Kinder beizutragen. Dafür muss es unkomplizierte, unbürokratische Impf-Angebote geben, zum Beispiel mit mobilen Impfteams und Impfangeboten direkt in Stadtteilzentren und Hochschulen, auf Marktplätzen und vor Supermärkten. Erwachsene müssen sich nun auch solidarisch mit den Kindern und Jugendlichen zeigen, und sich impfen lassen.
Auf Inzidenzwerte als Frühwarnsystem [6] kann nicht verzichtet werden. Wer nur auf die Hospitalisierung fokussiert, blendet die Langzeitfolgen der Multiorganerkrankung Covid 19 aus. Long Covid hat nicht nur individuell gravierende Folgen, sondern beansprucht das Gesundheitssystem inklusive der REHA in besonderem Maße. Über die Long Covid-Auswirkungen gerade auch von Kindern und Jugendlichen darf nicht hinweggegangen werden.
Dr. Daniel Vilser, Leiter der Corona-Long-Covid-KInder- Ambulanz in Jena mahnt öffentlich, die Langzeitfolgen einer Corona-Infektion bei Kindern nicht zu unterschätzen. Das Krankheitsbild von Long Covid sei gerade bei jungen Patienten diffus. Das mache es sehr schwer, eine Diagnose zu stellen, aufwendige Untersuchungen seien notwendig. Dafür braucht es mehr Kliniken, die sich auf die Behandlung von jungen Patienten mit Langzeitfolgen spezialisieren. Die jüngsten Hinweis aus den USA [7], dass Long Covid für Jüngere zu einem wachsenden Problem werden könnte, darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
6.) Jugendliche Erfahrungsräume
Kinder und Jugendliche brauchen Räume, in denen sie sich frei und selbstbestimmt bewegen können, Erfahrungen sammeln, ihre Umwelt entdecken und Kontakt zu Gleichaltrigen haben. So entwickeln sie ihre Persönlichkeit und lernen, eigenverantwortlich zu handeln. Gerade nach der langen Zeit, in der Kinder und Jugendliche wenig direkten Kontakt zu anderen Menschen außerhalb der eigenen Familie hatten, kommt daher der außerschulischen Bildungsarbeit eine besondere Rolle zu. Die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter*innen bauen durch den regelmäßigen Kontakt ein Vertrauensverhältnis zu den Kindern und Jugendlichen auf und können sie niedrigschwellig bei Herausforderungen des Alltags unterstützen und beraten. Außerschulische Bildungsarbeit darf bei einer vierten Welle nicht ins Homeoffice geschickt werden. Kinder und Jugendliche brauchen ihre Freiräume, ihre Lebens- und Erfahrungswelten jenseits von Schule, die zu einem guten und gesunden Aufwachsen dazugehören. Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit, der Jugendverbandsarbeit und der Jugendhilfe müssen weiterhin in Präsenz möglich sein.
Dazu gehört auch, ihnen jetzt bei Belegungen von Hallen und Plätzen für Sportangebote und Trainingszeiten von Jugendmannschaften Priorität einzuräumen. Gerade im Bereich des Schwimmens müssen Wasserzeiten und Wasserflächen für Schwimmkurse jetzt Vorrang haben.
7.) Kinder- und Jugendgipfel
Kinder und Jugendliche sind mit ihren Bedürfnissen und ihren Erfahrungen in der Pandemie kaum gehört worden. Viel wurde über sie geredet und über ihre Köpfe hinweg entschieden, aber nicht mit ihnen. Das muss sich ändern. Wir brauchen einen Kinder- und Jugendgipfel, der vor allem die Meinungen, Erfahrungen und Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt und sie hört. Junge Menschen sind Expert*innen in eigener Sache. Die Politik darf diese Expertise nicht länger ignorieren.
[2] Derzeit gibt es 37 Standorte in NRW. 31 staatliche und sechs private „Schulen für Kranke“.
[3] https://inda-gymnasium.de/welcome-charlie/
[4] https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/corona_infos/positionspapier_aerosole.pdf
[5] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/26_21.pdf?__blob=publicationFile
[6] Wie sich die Inzidenzen in den Altersgruppen entwickeln zeigt die Plattform https://semohr.github.io/risikogebiete_deutschland/. Sie wird wissenschaftlich betreut von dem Datenspezialisten Sebastian Mohr aus der Forschungsgruppe. von Viola Priesemann, die unter anderem Modellierungen für den Verlauf der Corona-Pandemie aufstellt.
[7] https://www.nytimes.com/2021/08/08/health/long-covid-kids.html