„Allein ein Dach über dem Kopf schützt nicht vor Gewalt“
Weibliche Geflüchtete sowie LSBTI* vor Gewalt schützen und stärken
Die UNO geht davon aus, dass mindestens 50 % aller Geflüchteten Frauen und Mädchen sind. Frauen fliehen wie Männer wegen Unterdrückung und Verfolgung, aus politischen und religiösen Gründen. Aber es gibt auch geschlechtsspezifische Fluchtursachen wie Witwenverbrennung, genitale Verstümmelung, Zwangsverschleierung oder Vergewaltigung. Daneben sind auch Diskriminierung und Verfolgung aufgrund der sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität spezifische Fluchtgründe. Entscheidend ist daher, wie mit dem spezifischen Schutzbedarf von Frauen und Mädchen sowie Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Inter* (LSBTI*) nach ihrer Ankunft in Deutschland umgegangen wird.
„Allein ein Dach über dem Kopf schützt nicht vor Gewalt“, sagt Josefine Paul, frauenpolitische Sprecherin der GRÜNEN Landtagsfraktion, und verweist auf die fehlenden Strukturen und jahrelange Versäumnisse im Hinblick auf die Unterbringung von Geflüchteten, die zu enormen Herausforderungen vor Ort führen. In Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften leben Geflüchtete auf engstem Raum, ohne Rückzugsmöglichkeiten – unter diesen Bedingungen besteht insbesondere für Frauen und Mädchen sowie LSBTI* die Gefahr, wieder Opfer von Gewalt zu werden.
Das Land NRW fördert daher spezielle Beratungs- und Hilfeprogramme für weibliche Flüchtlinge, die durch Gewalterfahrungen traumatisiert sind. Im April 2015 wurde ein bundesweit bisher einmaliges Förderkonzept entsprechender Beratungs- und Therapieangebote für traumatisierte weibliche Flüchtlinge erarbeitet, für das in diesem Jahr 900.000 Euro bereit stehen. Gefördert werden neben Schulungen für professionell und ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe Tätigen auch niedrigschwellige Beratungsangebote von traumatisierten geflüchteten Frauen und Mädchen sowie Kurz- und Akuttherapien. Außerdem können erforderliche Frauenhausaufenthalte von Flüchtlingsfrauen und ihren Kindern finanziert werden, soweit kein anderer Kostenträger zur Verfügung steht. – Das „Deutsche Institut für Menschenrechte“ hat die Angebote im Rahmen des Förderprogramms in NRW in seinem „Policy Paper“ von September 2015 unter dem Titel „Effektiver Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt – in Flüchtlingsunterkünften“ als beispielhaft vorgestellt.
„Das bedeutet aber nicht, dass bereits genug getan wird“, sagt Josefine Paul. Die Bundefrauenkonferenz der Grünen tagte Mitte Oktober und fasste einen Beschluss mit folgenden Forderungen:
- Betreiber*innen von Gemeinschaftsunterkünften und Aufnahmelagern müssen verpflichtet werden, Gewaltschutzkonzepte zu vereinbaren, um mit klaren Qualitätsstandards auf die Situation vor Ort angemessen reagieren können. Dies schließt eine Schulung und Sensibilisierung des Personals bezüglich (sexualisierter) Gewalt mit ein.
- In den Aufnahmestellen muss es spezielle Ansprechpartnerinnen für Frauen in Not geben.
- Frauen und Kinder, unbegleitete Minderjährige sowie LSBTI* brauchen so schnell wie möglich Rückzugsmöglichkeiten und sichere Räume. Dazu gehören Frauenschlafräume und abschließbare Sanitäranlagen.
- Provisorien, die jetzt eingerichtet werden, dürfen keine Dauerlösung werden.
- Der Zugang für Frauen zur Gesundheitsversorgung und psychischen Betreuung muss flächendeckend ausgebaut werden. Die Beratung und Behandlung soll möglichst durch weibliche Fachkräfte und Sprachmittlerinnen geschehen, damit Frauen nicht aus Scham schweigen. Sprachmittlerinnen sind hier unerlässlich.
- Die Gewaltschutzzentren und Beratungsstellen müssen finanziell gestärkt werden, um auch Geflüchteten den Zugang zu ermöglichen.
- Frauen sollen separate Sprach- und Integrationskurse angeboten werden, bei denen die Möglichkeit zur Teilnahme auch durch eine Kinderbetreuung gewährleistet wird.
- Damit geschlechtsspezifische Gründe für Verfolgung als Anerkennungsgrund für politisches Asyl erkannt werden können, müssen Frauen eine besondere, geschützte Begleitung erfahren, denn oft sind diese Gründe und Erfahrungen mit Scham besetzt und nicht ohne weiteres „beweisbar“.
- Broschüren und Informationsmaterial, das auch über die Rechte der Frauen aufklärt, muss in den entsprechenden Sprachen angeboten werden. Gleichermaßen müssen Informationen über die Rechte von LSBTI* angeboten werden.
Wir GRÜNEN setzen sich für den umfassenden Schutz von geflüchteten Frauen und Mädchen sowie LSBTI* auf der Flucht ein. „Natürlich ist die Unterbringung von Geflüchteten zunächst der wichtigste Schritt – besonders Schutzbedürftige vor (weiteren) Gewalterfahrungen zu bewahren, darf aber kein untergeordnetes Ziel sein“, betont Josefine Paul.